Was schenkst du einem Mann, der schon alles hat?
Bevor ich zum Eicherfeld fahre, nehme ich eine Kastanie vom Baum neben der Fraktion und lege sie auf das Armaturenbrett des Autos.
Jean Hamilius ist ein echter ‚Stater‘. Auf dem Knuedler führten seine Großeltern ihr Geschäft ‚Lassner‘, vorher in der rue de la reine, fort, lange Zeit das größte Geschäft seiner Art im Land: „Es hatte die beste Qualität. Die Leute sagten nicht, wir haben ein Service von Rosenthal oder Limoges, sie sagten, wir haben ein Service von Lassner.“ Das ‚Lassner‘ ist also das Zuhause von Jean Hamilius.
Dunkle Wolken
Als Jean Hamilius 1939 aufs Collège ging, war er mit den Vorgängen in Deutschland bestens vertraut. Der Vater spricht von „den düsteren Wolken“ beim Nachbarn. Im Alter von 15 Jahren wird Jean mit seiner Klasse als „Luftwaffenhelfer“ eingezogen. Die fünfte US-Panzerdivision befreit Luxemburg rechtzeitig, damit Jean (heute auch Jang oder Mulles) nicht zur Wehrmacht muss. Er hatte jedoch schon ein Versteck in Limpertsberg organisiert, ohne dass seine Eltern etwas davon wussten – bei Raymond Hagen, seinem Pfadfinderführer.
Der 17-jährige Schüler arbeitete dann als Dolmetscher bei den Amerikanern. Als deutsche Fallschirmspringer in amerikanischer Uniform in den Ardennen hinter der Front auftauchten, kehrte „Chico“ nach Luxemburg zurück, um bessere Ausweispapiere zu erhalten. Die Rundstedt-Offensive beendete die Zeit beim Militär; also zurück ins Lyzeum. Es ist die Zeit der Gründung des ‚Groupement‘, des Vorgängers der DP. Die Vorbereitungen durch seinen Vater Émile Hamilius, Eugène Schaus, Lucien Dury und andere bekam er ganz direkt mit: Die Treffen waren im Esszimmer zu Hause, Jean hatte sein Schlafzimmer nebenan und hörte manches. Danach das Abitur und weiter zur Ecole Solvay der Freien Universität Brüssel.
Ein Amerikanisches Stipendium und Helsinki
Und wie es der Zufall wollte, liest der Student im vierten und letzten Jahr in der Toilette in zerrissenen Zeitungen (Toilettenpapier ist nach dem Krieg rar), dass es ein amerikanisches Universitätsstipendium für Luxemburger gibt. „Nun, das wäre eine gute Sache“, dachte sich Jean, bewarb sich und erhielt eines der ersten beiden Fulbright-Stipendien für Belgien und Luxemburg: Auf zu einem Jahr an der Cornell University.
Zurück von Cornell – und nach dem Militärdienst in Luxemburg – geht es sehr schnell. Nach einem ersten Arbeitsplatz bei Columeta steigt er bei seinen Kameraden Gerbes, Kioes und Schmitter in deren neu gegründete Treuhändergesellschaft Gerbes, Kioes & Cie. ein. Der Beginn einer Karriere im Finanzwesen, in der er unter anderem Gründer und Präsident des ‚Crédit Européen‘, heute Teil der ING, wurde.
1952 war der SPORA-Athlet Mitglied der 4×400-m-Staffel (Schaefer, Hamilius, Hammer, Rasquin) bei den Olympischen Spielen in Helsinki, einer Staffel, die viele Jahre lang den nationalen Rekord über 4×400-m hielt. Josy Barthels Sieg über 1.500 Meter sieht er beim Warm-up durch kleine Fenster unter der Haupttribüne. Es war ein relativ langsames Rennen und Jean wusste: „Der Jos gewinnt“. Er kannte seinen Trainingskollegen Barthel als guten Sprinter.
In der zweiten Reihe
1974 organisierte der DP-Generalsekretär Jean Hamilius zusammen mit Luss Emringer einen modernen Wahlkampf: „Wir waren streng“. Es waren keine ‚privaten‘ Kampagnen erlaubt. „Wir müssen als ein Team da stehen!“. Jean wird Mitglied der Regierung in der blau-roten Koalition unter Gaston Thorn. Er ist jedoch nicht besonders begeistert von seinem Portfolio Landwirtschaft und Öffentliche Bauten. Als Wirtschaftsprüfer hatte er eher auf die Wirtschaft gehofft. Aber egal: „Ich bin glücklich und stolz, Teil dieser Regierung gewesen zu sein.“
Der nächsten Regierung Werner-Thorn steht Jean Hamilius nicht mehr für einen Ministerposten zur Verfügung. Er wollte kein Berufspolitiker werden. Jacques Poos und Jean sind heute die einzigen noch lebenden Minister der Thorn-Vouel-Regierung. Getreu seiner Entscheidung, die aktive Politik zu verlassen, trat Jean nach zwei Jahren aus der Abgeordnetenkammer und aus dem Europäischen Parlament in Straßburg zurück.
Es folgen viele Jahre intensiver beruflicher Tätigkeit. Als Wirtschaftsprüfer, im Rat der Investment Funds oder der Luxemburger Zentralbank. Privat ist er auch Präsident des Chores des Konservatoriums, des Avenir Beggen, des Cercle Artistique… Jean hatte viele Interessen.
Viel Wut und ein Buch
Nach seinem Abschied vom Berufsleben konnte Jean Hamilius wirklich von seinem häuslichem Refugium profitieren. Bis er vor einigen Jahren „sauwütend“ darüber wurde, wie junge Historiker die Rolle vieler Luxemburger im Zweiten Weltkrieg interpretierten. „Ich dachte, ich muss mich im Namen aller wehren, die nicht mehr da sind.“ Das war die Motivation für sein Buch „Luxemburg im Wandel der Zeit“, das am Ende weit über eine historische Gegenrede hinausgegangen ist.
Ich gebe Xavier zu 100% Recht
Am Ende zeigt mir Jean stolz seinen Garten und einen wunderschönen Kastanienbaum, den er vor vielen Jahren selbst gepflanzt hat. Zeit für eine letzte Frage: Jean, lag die DP 2013 richtig, überhaupt nicht mit der CSV zu sprechen? „Ich gebe Xavier zu 100% Recht. Wenn sie Gespräche mit der CSV aufgenommen hätten, hätte es mit Gambia nichts gegeben. Der Druck – auch intern – wäre zu groß gewesen.
Damit wäre eine historische Gelegenheit verpasst worden. Weil die CSV dem Xavier am Ende auch noch den Premierminister zugestanden hätte, nur um dabei zu bleiben. Wenn dies (die Dreierkoalition) nicht in einer Nacht schnell beschlossen worden wäre, wäre die Chance weg gewesen.“
Bevor ich das Eicherfeld verlasse, hole ich meine Kastanie aus dem im Auto und kann mir im Tausch eine von dem großen Baum pflücken.
Als ich Jean aus dem Auto winke, steht er da , gerade wie sein Kastanienbaum. Zwei, die sich nicht verbiegen lassen…